Jetzt habe ich also auch noch einen Account bei pearltrees.com. Als hätte ich nicht schon eine ganze Schublade voll mit längst verwaisten Zugangsdaten zu solchen „cloud-based Social Bookmarking Services“ oder wie auch immer die aktuelle Denglisch-Bezeichnung der Buzzword-Generatoren für derartige Dienste lautet.
Die Grundidee hinter Pearltrees ist recht nett, statt über endlose Textlisten und -links wird die thematische Nähe zwischen Bookmarks graphisch dargestellt. Die Flash-Anwendung ermöglicht so die baumartige Anordnung von Lesezeichen, die man dann auch noch mit anderen Nutzern teilen kann — ebenso kann man in den „Perlenbäumen“ anderer Surfer herumstöbern, thematisch ähnlich interessierte „Freunde“ finden und was sonst noch alles so zu Social Bookmarking dazugehört. Selbstverständlich ist auch eine Firefox-Extension verfügbar, die das Speichern von Lesezeichen einfacher machen soll. Über ein Urteil der Kategorie „gewöhnungsbedürftig“ komme ich nach einem ersten Herumspielen aber nicht hinaus. Zu zäh ist das Agieren mit der Flash-Software und intuitiv ist die Bedienung auch nicht unbedingt. Also wohl doch erstmal nur ein weiterer Account für die Schublade.
Aber ohne dieses „einfach mal ausprobieren„-Prinzip mit einer dicken Portion Serendipity hätte ich wohl einen Grossteil meiner täglich genutzten Anwendungen nie gefunden und daher nehme ich die vermeintlich verlorene Zeit durch das Testen gerne in Kauf. Denn die ominöse „Cloud“ kann das persönliche Zeit-, Wissens- und Dokumentenmanagement heutzutage deutlich angenehmer gestalten und viel mehr Flexibilität anbieten. Schon längst ist es für mich kaum noch relevant, an welchem Rechner und wo ich gerade sitze — ob Büro-HP-Notebook, Mac, Netbook oder gar Android-Smartphone, ob zuhause, im Büro oder unterwegs: Sofern ein Internet-Zugang und ein Browser zur Verfügung steht, sind auch die wichtigsten Dokumente nur ein paar Klicks entfernt.
Zudem bin ich zwar kein eiserner Anhänger der „Getting Things Done„-Philosophie (GTD), aber im ewigen Kampf gegen meinen inneren Prokrastinations-Schweinehund habe ich mir ein paar Elemente dort abgeschaut („If it takes less than 2 minutes, do it now„, intensives Brainstorming über Mind-Maps) und diverse Cloud-Dienste unterstützen mich beim persönlichen GTD-inspirierten Projektmanagement. Dabei haben die Werkzeuge eine immens kurze Halbwertszeit — ständig kommen neue Tools dazu, dafür werden andere „in die Schublade“ gelegt. Und das Beste: Die meisten Anwendungen sind kostenfrei und/oder Open Source.
Anfang 2011 habe ich mal wieder „Inventur“ betrieben und ungenutzte Dienste ausgemustert, aktuell sieht mein Portfolio so aus:
Dropbox: Ideal zum Austausch von Dateien zwischen mehreren Rechnern und mobilen Geräten. Man hat immer automatisch die aktuellste Revision dabei, versehentlich gelöschte Dateien sind fast immer zu retten. Und das Teilen mit anderen Nutzern ist auch easy-peasy. Mittlerweile kommt es auch sehr gut mit Truecrypt-verschlüsselten Containern zurecht, so dass auch die kritische, sorgenvolle Stimme im Hinterkopf stiller geworden ist. Aber trotz aller Vorteile bleibt das generelle Problem: Das gleichzeitige Bearbeiten von Dateien an verschiedenen Rechnern ist ein No-Go. Da ich meine Rechner schon lange nicht mehr ausschalte, sondern in den Ruhezustand versetze, vergesse ich auch mal schnell, eine Word-Datei zu speichern und dann muss man beim zwischenzeitlichen Arbeiten mit einem anderen PC aufpassen.
2 GB Speichervolumen sind gratis, man kann aber durch Werbung weiterer Nutzer, einer Uni-EMail-Adresse und gelegentlichen Promo-Aktionen Speicherplatz hinzuverdienen. Ganz gewitzte Leute nutzen Dropbox auch, um über Smartphones ferngesteuert Aufträge an Drucker zu senden oder MP3-Player im Auto zu befüllen.
Evernote: Nach vielen Versuchen mit alternativen Formen wie Google Docs, diversen selbstgehosteten Wikis (dokuwiki) und simplen TXT-Dateien in Dropbox lande ich doch immer wieder bei Evernote. Damit kann man Texte, Screenshots und weitere Dokumente sehr einfach in der Cloud speichern und mit beliebig vielen Endgeräten synchronisieren. Zugriff ist wie bei Dropbox über das Web oder einen speziellen Desktop-Client möglich. Ideal für Projektnotizen, Todo-Listen oder auch kurzen Textbausteinen und besonders nützlich im Zusammenspiel mit einem Smartphone: Schnell mal unterwegs eine Notiz (Text oder Foto) machen geht kaum einfacher. Viele in MS Office und Webbrowser integrierte „Clipper“ erleichtern das rasche Transferieren von Objekten in eine Evernote-Notiz. Der Wechsel des User Interfaces von 3.0 auf 3.5 war zumindest aus meiner Sicht „suboptimal“, aber 4.0 hat wieder einiges wettgemacht. Auch hier ist ein gewisser Grundspeicherplatz pro Monat kostenlos, das gemeinsame Editieren von Notizen mit anderen Nutzern ist der Premium-Version vorenthalten.
Google Apps: Google Calendar ist mit meinem Büro-Outlook synchronisiert, darüberhinaus sind Docs und Calc unverzichtbar für längere Texte oder Tabellen, für die Evernote zu unhandlich ist. Einen wesentlichen Teil meiner Diss schreibe ich in Google Docs (bevor es dann in LaTeX wandert). Den Google Reader als meine Nachrichtenzentrale möchte ich schon gar nicht missen, hunderte von RSS-Feeds liefern mir jeden Morgen reichlich Material zum Lesen. Private Mails gehen immer noch über Google Mail, dabei reicht mir das Webinterface inzwischen vollkommen (Den Thunderbird habe ich schon seit zwei Jahren nicht mehr genutzt) und von den 15.000 Spam-Mails, die jeden Monat auf meine Catch-All-Domains einprasseln sehe ich so gut wie gar nichts.
MindMeister: Eigentlich liebe ich ja die Java-Anwendung Freemind über alles, aber es ist halt nicht in der „Cloud“. Man kann natürlich die Freemind-Datei in der Dropbox speichern oder auf einem Truecrypt-verschlüsselten USB-Stick dabei haben, aber all diese Lösungen empfand ich als nicht sonderlich komfortabel. Es gibt unzählige Mindmapping-Angebote im Web, von den getesteten gefiel mir schliesslich Mindmeister am besten, es bietet auch Freemind-In/Export-Funktionen an. Die Basis-Version mit ein paar Mindmaps ist gratis.
WordPress: Eigentlich eine Weblog-Software, die ich auch für meine Blogs nutze. Aber es eignet sich auch ideal, um schnell mal ein paar Notizen zu machen, da es auch Smartphone-Apps gibt. In letzter Zeit haben Google Docs und Evernote den Platz für diesen Zweck voll belegt, aber hin und wieder mache ich mir auch hier längere Notizen — die dann aber eigentlich auch mal veröffentlicht werden sollen.
Etherpad: Etherpads sind perfekt zur kollaborativen Erarbeitung von Texten, wenn man nicht auf Google Docs zurückgreifen kann oder will. Von Google aufgekauft, wurde der Quellcode von Etherpad frei zur Verfügung gestellt. Extra für unseren Masterstudiengang an der HTW Chur habe ich eine Etherpad-Instanz namens iwpad aufgesetzt. Die Formatierungsmöglichkeiten sind stark begrenzt und hie und da gibt es Probleme mit den Zeichensätzen — aber als „quick-and-dirty“-Kollaborations-Lösung ohne Registrierungszwang ist es in meinen Augen unschlagbar.
Bibsonomy / Zotero / Citavi / Mendeley: Meine „wissenschaftlichen“ Bookmarks speichere ich in erster Linie in Bibsonomy. Eindeutig für genau diesen Einsatzbereich geschaffen bietet es die richtigen Werkzeuge, um beispielsweise aus den Lesezeichen auch gleich BibTeX-Dateien zu generieren und thematisch verwandte Bookmarks zu finden. Zotero ist in einer ewigen „Warteposition“, das ich immer mal wieder ausprobiere, wenn eine neue Version erscheint (zuletzt die Alpha der Standalone-Version), aber irgendwie konnte es sich noch nicht richtig in meinen Arbeitsabläufen integrieren, gleiches gilt für Mendeley. Citavi nutze ich als klassisches (offline) Literaturverwaltungssystem, als Ergänzung und/oder Alternative auf case-by-case-Basis zur üblichen LaTeX-Produktionskette. Bei Citavi fehlt mir die für 2011 erwartete Team-Version und die Mac-Version schmerzlich, dafür spielt es gut mit OpenOffice zusammen.
Delicious / Diigo: Alles „sonstige“ an Bookmarks landete früher in Delicious, heute zunehmend in Diigo. Das hat nicht nur mit der unsicheren Zukunft von delicious zu tun, sondern ist wohl auch eher eine persönliche Präferenz. In diesem Bereich habe ich aber auch so ziemlich alles auf dem Markt ausprobiert, von Wong über (das spektakulär untergegangene) magnolia zu pearltrees. Ich glaube, dass hier noch reichlich Potential für zukünftige Weiterentwicklungen besteht.
Firefox: Definitiv das wichtigste „Cloud“-Werkzeug, also verdient es auch eine Erwähnung an dieser Stelle ;-). Fast alles läuft über Firefox (und manchmal auch Chrome). History und Bookmarks werden über Firefox Sync auf allen Clients (mehr oder weniger fehlerfrei) synchron gehalten. Der Webbrowser spielt zumindest in meinem Alltag eine grössere Bedeutung als das klassische Betriebssystem und gerade Firefox überzeugt durch die endlose Vielfalt an Add-Ons und Erweiterungen, mit denen man den Browser ganz auf die eigenen Bedürfnisse „tunen“ kann. Die Liste meiner installierten Add-Ons wäre wohl Grundlage für einen weiteren (langen ;-)) Blog-Eintrag.
Sonstiges
Präsentationen kann man über Slideshare und Prezi organsieren und vorführen, natürlich habe ich dann auch noch Accounts bei sozialen Netzwerke wie Xing, Twitter, LinkedIn und Facebook, die auch eine zunehmend wichtige Rolle in alltäglichen Kommunikations-Abläufen haben. Das stellt den Nutzer aber zunehmend vor die Qual der Wahl: Wohin „postet“ man denn nun eine Neuigkeit?
Und wenn ich schon so viele „Cloud“-Dienste nenne, die eine wichtige Rolle in meinem Alltag spielen, dann muss auch der Musik-Streaming-Dienst Spotify dabei sein. Meine MP3-Sammlung wurde durch Spotify ähnlich obsolet wie meine CD-Kollektion, mein iTunes-Account fühlt sich ähnlich vernachlässigt. Ich habe immer meine Musiksammlung auf einem Knopfdruck dabei, all meine Playlists sind auf PC, Mac und Android parat und ich kann sie mit Freunden austauschen. Dazu ein faszinierendes all-you-can-eat-Buffet, das auf Knopfdruck einige Millionen Songs verfügbar macht und meine Musik-Gewohnheiten im Handstreich radikal verändert hat. Das alles gibt’s dann auch für 9,99 Euro pro Monat ohne Werbeunterbrechungen. Leider verhindert unter anderem die GEMA, dass sich der Dienst auch in Deutschland mit der „Musikindustrie“ auf ein vernünftiges Geschäftsmodell einigen kann, daher kann man mit einem Wohnsitz in Deutschland keinen Account anlegen.
Fazit
Ohne Web-Zugang bin ich gnadenlos aufgeschmissen :). Ohne die „Cloud“ geht heute nichts mehr. Und ohne vernünftigen Passwort/Account-Manager auch nicht mehr.
Was mir aber immer noch fehlt ist eine stärkere Verzahnung der einzelnen Bausteine meiner „Prozessketten“ in der Cloud. Leider bin ich an Outlook/Exchange gebunden, aber gerne möchte ich E-Mails gleich mit Projektdaten, Notizen und Aufgaben verknüpfen ohne gleich zu Sharepoint greifen zu müssen. Und es sind definitiv noch viel zu viele Anwendungen in meinem Portfolio, die man richtig einsetzen muss, auch wenn ich öfters ausmiste. Die „Wo habe ich das denn notiert?“ oder „Wo plane ich das denn am besten?“-Frage kommt definitiv noch zu oft. Ständig muss man abwägen: Sollen auch andere darauf zugreifen? Ist es ein grösseres Projekt oder eine kleine Notiz?
Vielleicht kann der Semantic Desktop da mittelfristig Abhilfe schaffen, aber im Moment geht es leider noch nicht ohne ständiges „Application-Hopping“ und viele Account-Leichen in der Schublade…